Für manche ist die Pandemie eine Herausforderung, für andere eine Bedrohung, und wieder andere regen sich über die Einschränkungen einfach nur auf. Arbeitspsychologen untersuchten das menschliche Erleben und Verhalten in der Arbeitswelt während der Pandemie.
(dgk) „Ich war überrascht, wie unterschiedlich die Menschen mit dem gravierenden Stress und den Einschnitten durch die Pandemie umgehen. Ich hatte gedacht, dass die meisten von ihnen zu funktionalen Bewältigungsstrategien greifen“, sagt Prof. Dr. Hannes Zacher, Arbeitspsychologe der Universität Leipzig. Tatsächlich aber gehen die Menschen sehr verschiedene Wege: Sie leugnen die Pandemie, suchen Ablenkung durch Alkohol- und Drogenkonsum, lassen ihre Wut an ihren Mitmenschen und an Politikern aus, kümmern sich verstärkt um die Familie oder laufen im Homeoffice zu Hochform auf. Was die meisten der Befragten vereint, ist die Tatsache, dass sie nach den „Dellen im Wohlbefinden“ durch die Lockdowns relativ schnell wieder zurück zu ihrer vorherigen Lebenseinstellung und damit zu mehr Leichtigkeit im Leben zurückfanden. „Das zeigt, wie anpassungsfähig Menschen in Krisenzeiten sind“, betont Zacher.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Cort Rudolph von der Saint Louis University (USA) befragte Zacher in einer großangelegten, repräsentativen Längsschnittstudie zwischen Dezember 2019 und Januar 2022 monatlich einmal etwa 1.000 Erwerbstätige in Deutschland. Diese kamen aus verschiedenen Alters- und Berufsgruppen und aus allen Bundesländern. Befragt wurden sie nach ihrem physischen und psychischen Gesundheitszustand, ihrer Zufriedenheit im Job, ihren Strategien zur Bewältigung der Pandemie, später auch zu ihrer Impfbereitschaft und zur Pandemiemüdigkeit.
Etwa ein Drittel bis die Hälfte der Befragten arbeitete in dieser Zeit teilweise oder ausschließlich im Homeoffice. „Für viele ist Homeoffice in der Pandemie zu einer neuen Normalität geworden“, sagt der Experte. Ein größerer Teil der Befragten konnte jedoch nicht zu Hause arbeiten, weil sie in systemrelevanten Berufen oder in der kritischen Infrastruktur tätig waren. Diejenigen, die im Homeoffice waren, sammelten mit dieser neuen Beschäftigungsart unter-schiedliche Erfahrungen. Wer wie gut damit klarkommt, ist laut Zacher auch von der jeweiligen Persönlichkeit abhängig. Auch diese individuellen Merkmale wurden in der Studie erfragt. Stärker extrovertierte Personen hatten eher Probleme mit dem Arbeiten inklusive Videokonferenzen in den eigenen vier Wänden als introvertierte. Gewissenhafte Menschen kamen gut mit der veränderten Arbeitssituation klar, weil sie die Aufgaben strukturierter angingen. Generell waren Beschäftigte besser dran, wenn sie aktiv wurden, auf die Vorgesetzte oder den Vorgesetzen direkt zugingen und mit ihnen Lösungen für ihre Probleme offen besprachen.
Viele der Befragten sammelten durch die Pandemie erstmals Erfahrungen mit dem mobilen Arbeiten und lernten viel dazu. Neben der Einsamkeit, die viele der Befragten beklagten, habe die Corona-Krise aber auch positive Auswirkungen auf das Arbeitsleben. „Sie trägt zu einer Humanisierung der Arbeitswelt bei. Arbeit muss zukünftig stärker an menschliche Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenzerleben und sozialer Eingebundenheit gestaltet werden“, ist Zacher überzeugt. In den USA gebe es gerade eine Kündigungswelle, weil viele Beschäftigte nicht mehr wie bisher, zum Beispiel im lauten Großraumbüro arbeiten wollen und Unternehmen verlassen, die nicht auf ihre Bedürfnisse eingehen. „Das könnte auch zu uns überschwappen. Die Pandemie hat ein Schlaglicht darauf geworfen, wie wichtig gut gestaltete Arbeit ist“, so Zacher.
Quelle: Deutsches Grünes Kreuz, www.dgk.de; www.uni-leipzig.de/newsdetail/artikel/experte-zu-auswirkungen-der-pandemie-auf-die-arbeitswelt-2022-01-07